Diskussionsrunde beim zweiten Women’s Circle des FWF
Beim zweiten Women’s Circle des FWF diskutierten Astrid Jankowitsch (FOPI), Sylvia Gaiswinkler (Gesundheit Österreich), Henrietta Egerth-Stadlhuber (FFG), Ursula Jakubek (FWF), Ellen Zechner (UniversitĂ€t Graz) und Alexandra Kautzky-Willer (Medizinische UniversitĂ€t Wien) mit ihren GĂ€sten. © FWF/Klaus Ranger

Die Moderation teilten sich Ursula Jakubek, kaufmĂ€nnische VizeprĂ€sidentin des Wissenschaftsfonds FWF, und Henrietta Egerth-Stadlhuber, GeschĂ€ftsfĂŒhrerin der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG). Einleitend wurden die Expertinnen am Podium vorgestellt: Alexandra Kautzky-Willer, Gendermedizinerin an der Medizinischen UniversitĂ€t Wien; Ellen Zechner, Molekularbiologin an der UniversitĂ€t Graz; Astrid Jankowitsch, FOPI-GeneralsekretĂ€rin und Head Public Policy, Communications & Patient Advocacy bei Takeda; Sylvia Gaiswinkler von Gesundheit Österreich und Studienautorin des österreichischen Frauengesundheitsberichts.

Genderaspekte berĂŒcksichtigen

„Ist es Zufall oder nicht, dass Frauen nach einem Herzinfarkt deutlich schlechtere Überlebenschancen haben als MĂ€nner? Die wissenschaftliche Forschung orientiert sich immer noch stĂ€rker an mĂ€nnlichen Probanden – warum gibt es diesen Gender-Health-Gap?“, so eröffnete Ursula Jakubek die spannende Diskussion.

Mit Zahlen aus der Kardiologie zeigte Gendermedizinerin Alexandra Kautzky-Willer den Handlungsbedarf: „Wegen Herzinfarkt werden im Spital 2,5-mal mehr MĂ€nner als Frauen behandelt. Aber die Sterblichkeit bei Frauen ist in den ersten 30 Tagen grĂ¶ĂŸer, weil Symptome nicht rechtzeitig erkannt werden und weil die Zeit vom ersten Schmerz bis zum ersten Arztkontakt grĂ¶ĂŸer ist.“ Eine positive Maßnahme seien die neuen Leitlinien der EuropĂ€ischen Gesellschaft fĂŒr Kardiologie, welche in der AbklĂ€rung und Behandlung auf die Unterschiede zwischen MĂ€nnern und Frauen hinweisen. Ein Fortschritt sei auch die Zunahme an Publikationen im Bereich Gendermedizin.

Auf die Frage, warum mit den aggressiveren mĂ€nnlichen MĂ€usen geforscht wird statt mit weiblichen, holte Molekularbiologin Ellen Zechner bis in die 1960er-Jahre aus, wo in Europa und den USA in der Literatur aus TierschutzgrĂŒnden befĂŒrwortet worden war, die Zahl an Versuchstieren möglichst gering zu halten. So beschrĂ€nkte man sich auf die grĂ¶ĂŸeren MĂ€nnchen: „Alles basierte damit auf mĂ€nnlichen MĂ€usen. Wenn man weiterforschen und vergleichen wollte, musste man dabei bleiben. Die Wende kam erst in den spĂ€ten 1990ern, als die US-Arzneimittelbehörde FDA wegen schwerwiegender Nebenwirkungen bei Frauen viele gĂ€ngige Medikationen vom Markt genommen hat.“ Das zeigte, dass Forschungsfragen anders geplant werden mĂŒssen.

„In den aktuellen Regierungsverhandlungen geht es auch um die Ärzteausbildung. Sollte man genderspezifische Aspekte stĂ€rker hineinnehmen?“, fragte FFG-GeschĂ€ftsfĂŒhrerin Henrietta Egerth-Stadlhuber, die Teil des Verhandlungsteams ist. Auf der Medizinischen UniversitĂ€t Wien gebe es diesbezĂŒglich ein Mission-Statement, auch die Studierenden seien an Genderaspekten in der Forschung interessiert, so Alexandra Kautzky-Willer.

Datenlage verbessern

Nach mehr als zehn Jahren konnte wieder ein Frauengesundheitsbericht erscheinen und Autorin Sylvia Gaiswinkler wurde nach Zahlen zum Gender-Health-Gap befragt: „In Österreich haben wir allgemein keine gute Datenlage, weder fĂŒr MĂ€nner noch fĂŒr Frauen. Und zu frauenspezifischen Themen wie Menstruation, Wechseljahre oder Endometriose gibt es gar keine Daten.“

Forschende wĂŒrden meist mit geringen finanziellen Mitteln kĂ€mpfen und seien angehalten, das Studiendesign möglichst einfach zu halten, begrĂŒndete Ellen Zechner den oft eingeschrĂ€nkten Blick: „Wenn es heißt, das muss fĂŒr beide Geschlechter erforscht werden, dann erschrecken viele, weil sie die automatische Verdopplung des Aufwands befĂŒrchten.“ Studierende sollten daher lernen, Genderaspekte zu erkennen, ihre Relevanz zu prĂŒfen und gegebenenfalls anders zu planen. Außerdem mĂŒssten Fachzeitschriften verlangen, dass vollstĂ€ndig berichtet wird; nur dann wird publiziert.

Die laufenden Regierungsverhandlungen nĂŒtzte Astrid Jankowitsch fĂŒr einen Appell: „Mit mehr verfĂŒgbaren Daten können wir so viel machen und das Gesundheitssystem wesentlich verbessern. Das ist ein Riesenwunsch, den wir in die Verhandlungen mitgeben wollen.“ Ursula Jakubek unterstĂŒtzte dies und sprach fĂŒr das gesamte Podium: „Dass Daten der Wissenschaft zur VerfĂŒgung gestellt werden, ist uns allen ein Anliegen.“ Und Henrietta Egerth-Stadlhuber nahm den Ball auf: „In Österreich herrscht eine indifferente Haltung gegenĂŒber der Wissenschaft, doch ich glaube, das Bewusstsein ist endlich angekommen, dass wir Registerdaten brauchen, um Forschung betreiben zu können; anonymisiert und nicht nachvollziehbar. Wir haben ein kleinteiliges Ökosystem mit Unternehmen, wissenschaftlichen Einrichtungen und KrankenhĂ€usern, das ist ein Vorteil. Wenn noch gute Daten genĂŒtzt werden können, ist das fĂŒr alle ein Fortschritt und fĂŒr die Gendermedizin erst recht.“

Bewusstsein statt Tabu

Auf ihre zwanzigjĂ€hrige Erfahrung in der Pharmaindustrie blickte Astrid Jankowitsch zurĂŒck: Anfangs sei Gendermedizin kein Thema gewesen, das habe sich jedoch geĂ€ndert. „Wir versuchen, die Patientinnen und Patienten zielgerichtet zu erreichen. Ich sehe in der Ausrichtung hin zur Personalisierung die Möglichkeit, alle Gaps zu adressieren.“ Auf der einen Seite brauche es Regulierungsmaßnahmen und Incentives, die seitens der europĂ€ischen Behörden schon passieren; auf der anderen Seite brauche es Awareness und verstĂ€rkte Kommunikation zum Gender-Health-Gap.

Bei der PrĂ€sentation des Frauengesundheitsberichts kam als Erstes die Frage, wo denn ein Bericht fĂŒr MĂ€nner sei, erzĂ€hlte Gaiswinkler und sie empfahl, statt sich auf Diskussionen einzulassen, die Fakten klarzustellen: „Um Bewusstsein fĂŒr Frauengesundheit zu schaffen, mĂŒssen wir immer wieder sagen: Das betrifft die HĂ€lfte der Bevölkerung und wir mĂŒssen ĂŒber diese HĂ€lfte reden.“ Es brauche mehr Frauen in Entscheidungspositionen, um Frauenthemen auf höchster Ebene laufend zu adressieren; ein gravierendes Frauenthema seien beispielsweise Schmerzen: „In begleitenden Interviews bei einer Studie kam heraus, dass MĂ€dchen und Frauen nicht ernst genommen werden, wenn sie sagen, dass sie Schmerzen haben.“

Das bestĂ€tigte Alexandra Kautzky-Willer: „Aktuelle große Studien zeigen, dass Frauen bei jeder Form von Schmerzen in Dokumentation und Behandlung weniger ernst genommen werden, und zwar von MĂ€nnern und Frauen. Es heißt, sie sind hysterisch oder emotionaler. Das ist in den Köpfen fest verankert und dagegen muss man ankĂ€mpfen.“

Die Notwendigkeit, den Gender-Health-Gap immer wieder anzusprechen, bewies die angeregte Diskussion am Podium und mit dem Publikum. Dabei wurde auch Maria Rauch-Kallat, ehemals Ministerin fĂŒr Gesundheit und Frauen, von Ursula Jakubek begrĂŒĂŸt. Dann lud diese zum Buffet: „Danke – es gibt viele Fragen zum Weiterdiskutieren. Genau das ist die Idee des Women’s Circle, dass sich Frauen in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft vernetzen.“

Nach oben scrollen